Polizei- und Nachtwächterdienst im alten Elmshorn



“Aus der engeren Heimat”, Beiträge zur Weckung von Heimatsinn und Heimatfreude von Konrad Struve, erschienen im Sept. 1925


  Ausrufen und Judenschlagbäume

Eigenartige Kulturbilder aus längst entschwundenen Zeiten sind es, die sich und in den folgenden Blättern entrollen und uns neuzeitlich empfindende Menschen fremd und sonderbar anmuten.

   In den „Sporteln und Gebühren“ eines Polizeidieners der alten Zeit spüren wir noch den düsteren Ernst und die drakonische Härte mittelalterlicher Rechtspflege, über Nachrichten über Wächterdienst, Ausrufer und Judenschlagbäume die ganze Enge und Beschränktheit kleinbürgerlicher Lebensauffassung, wo jeder dahinlebt in seiner stillen Welt mit ihrer beschaulichen Ruhe und ihren kleinlichen Sorgen, unbekümmert um das Treiben der großen Welt da draußen, deren Wellenschlag nur selten seinen stillen Straßenwinkel berührt, – aber ängstlich und engherzig bedacht, seine kleinen, von den Vätern überkommenden Gerechtsame zu wahren.

  1. Aus der Designation 1 der dem p.t. Elmshornischen Gerichtsdiener oder Fußknecht completirenden Sporteln (Entgelt für gerichtliche Handlungen)  und Gebühren.

                     Elmshorn, den 22. Dezember 1766

–         Für Inhaftierung eines Delinquenten: 24 Schilling

–         Selbigen in Rantzau abliefern : 24 Schilling

–         Sitzgeld für einen Delinquenten

und Speisung mit Wasser und

Brot, ihm Feuer und Licht alle

24 Stunden : 12 Schilling

        –     Für die Anschließung an den

               Pfahl, jedes Mal3 : 1 Mark

–        Wogegen er den Armenvogt, oder wer

sonst das  Anschließen verrichtet,

nach Billigung lohnen muss

–         Für die Auslieferung eine Inquisisten

an fremde Obrigkeit :1 Mark

–         Für Ansagung der ganzen Gemeinde

und Schließung des Kreises, wenn ein

Delinquent cum poena capitalis4

belegt wird : 2 Mark

–         Wenn aber ein Delinquent nur

fultigiret5, religiret, oder nach

der Karre gebracht wird 7:1 Mark

–         Bei Errichtung der Galgen, Räder

und Pfähledie Beikommenden

anzusagen und hierbei gegenwärtig

zu sein :1 Mark

       1 Bezeichnung, Bestimmung, Verzeichnis. 2 (Verhafteter) Verbrecher, armer Sünder.   3 Der Pranger (Schandsäule) zur Rechten des Eingangs auf den Friedhof; später soll die Kette mit dem Halseisen an der Kirchenmauer befestigt worden sein. 4 Lebens- oder Todesstrafe auf dem Klöppelberg am Flamweg. 5 Ausgepeitscht, öffentlich gestäubt. 6 verbannt, des Landes verwiesen. 7 Zur Karrenstrafe nach dem Glückstädter Zuchthaus.      8 Zur Vorbereitung einer Hinrichtung. Bei Enthauptung (Dekollierung) wurde der Kopf auf einen Pfahl geheftet, der Körper auf das Rad geflochten.

     Vorstehende Designation findet sich als Anlage zum Bericht über Anstellung des     neuen Untervogts Lange an Stelle des verstorbenen Untervogts Wischmann  im Jahr 1824.

   Aus dem Gesuche Langes um Erhöhung seine Einkommens: Als im Jahr 1766 eine Sporteltaxe entworfen wurde für den Untervogt (früher Fußknecht), sei der Wochenmarkt sehr unbedeutend gewesen und fast kein Torf zu Markt gebracht worden, weswegen damals auch an eine Einnahme für den Untervogt in dieser Hinsicht nicht gedacht werden konnte. Jetzt (1824) werde aber der hiesige Flecken an den Markttagen so stark von Torf beladenen Wagen besucht, dass die ununterbrochene Gegenwart des Marktvogtes an den jedesmaligen Markte des Mittwochs und Sonnabends erforderlich sei. Lange wünscht von jedem mit Torf beladenen Wagen 0,5 Schilling Courant zu erheben.

   Das Gesuch wurde nicht bewilligt.

Nachwächter und Ausrufedienst 1766

   Am 6. November 1766 reichten die Nachtwächter Jochim Münster und Franz Ernst Wilsfang an Administrator Baron von Söhlenthal auf Rantzau ein Gesuch ein, das Ausrufen der zum Verkauf kommenden Viktualien betreffend.

   Es sein von jeher im hiesigen Flecken gebräuchlich gewesen, wenn Auswärtige zu Land oder zu Wasser Obst, Gartengewächse, Fische und dergleichen zum Verkauf brächten, solches von den Nachtwächtern öffentlich ausrufen zu lassen und diesen dafür 2 Schilling auszukehren. Den im Nachtwächterdistrikt wohnenden Einheimischen seien sie dagegen schuldig, für 1 Schilling (!) auszurufen.

   Neuerdings hätten nun einige Ausheimische ihnen diese 2 Schilling für den Ausruf streitig zu machen versucht. Auf ihre, der Nachtwächter, Vorstellung hätten der Kirchspielvogt Bornemann sowie der hiesige Brandvorsteher mit den zugeordneten 12 Männern Bedenken getragen, ihnen beizutreten, da in der Nachtwächter-Instruktion in diesem Punkt nichts Bestimmtes enthalten sei. Ihr ohnehin kleines Einkommen werde durch den Verlust des Ausrufens noch mehr geschmälert, und ihr Ausrufedienst sie für Elmshorn doch sehr wichtig.

   Sie bäten zu „mandieren“ (anzuordnen), dass Ein- und Ausheimische, wenn sie Viktualien verkaufen wollten, bei nachdrücklicher Ahndung schuldig sein sollten, es durch die Nachtwächter ausrufen zu lassen, für 2 Schilling, bezw. Die Einheimischen für 1 Schilling, und es anzubefehlen, sich bis 11 Uhr vormittags alles Verkaufens durchaus zu enthalten.

   Leider hatten die guten Nachtwächter mit ihrem etwas naiven Gesuch, dass der tägliche Handel mit Küchenbedürfnissen auf ihre notwendige Vormittagsruhe gebührend Rücksicht nehmen möge, eine Erfolg, wie sie ihn sicher nicht erwartet hatten.

Der Admistrator von Söhlenthal forderte von den Ortsbehörden Bericht über das Anliegen ein.

   Dieser wurde vom Kirchspielvogt am 21. November 1766 erstattet. Der Herr Administrator selbst habe das Gesuch bereits als hinfällig bezeichnet, da dem Verkauf keiner Weise ein Zwang aufgebürdet werden könne, was die Ansuchenden sich nicht gescheut hätten zu beantragen.

   Das Ausrufen sei auch niemals früher hierselbst Gebrauch gewesen, wohl aber hätten die Nachwächter zum Nachteil (?) der Einwohner diese Gewohnheit eingeführt. Den Einwohnern müsse der Einkauf der nötigen Viktualien möglichst erleichtert werden, und es sei ihnen viel angenehmer, wenn die Waren vor ihre Häuser kämen und sie nicht erst danach zu laufen brauchten.

   Betreffend  den Vor- oder Auskauf (war in der neuen Marktordnung untersagt)– von den Nachwächtern in ihrem Gesuch angeführt – werde aller Fleiß aufgewendet, ihn zu verhindern. Unterschleise (Unterschlagung) kämen natürlich vor. In solchen Fällen hätten die Nachtwächter es dem Fußknecht melden sollen.

   Er nahm zugleich Gelegenheit, zu bemerken:

   Die Nachtwächter ständen ihrem Dienst nicht allemal so vor, wie sie es sollten. Sie hätten ihren Dienst auf alle möglichen Weise zu verbessern gewusst, z.B. durch Botenlaufen, seien aber immer unzufrieden, beneideten und übervorteilten sich untereinander und lebten in beständiger Feindschaft. Einige Einwohner wünschten, dass beide abgingen.

   Besonders hätten sie sich  der Aufwartung bei Hochzeiten und dergleichen Zusammenkünften angemaßt und nähmen sich bei solcher Gelegenheit die Freiheit, dass der eine gar nicht, der andere nicht alle Stunden auf die Straße komme.

   Es sei daher nicht undienlich ihnen anzubefehlen, dass sie ihre Stunden ordentlich hielten, sich nicht durch Aufwartung davon abhalten ließen, am allerwenigsten, wiees bisher geschehen, sich unterständen, den Flecken bei jedesmaligem Glockenschlag in einigen Minuten zu durchstreifen, die übrige Zeit aber in ihren Wohnungen oder anderen Schlupflöchern zusitzen, vielmehr die ihnen vorgeschriebenen Stunden bei Androhung schwerer Strafen beständig auf der Straße zu sein.

   So erging von der Administration im Dezember 1766 an die Nachtwächter zu Elmshorn die scharfe Ermahnung, ihre Amtspflichten aufs genaueste nachzukommen, so lieb es ihnen sei, ein Nachtwächter zu bleiben.

   Mit der Zeit aber bürgerte sich das Ausrufen durch die Nachtwächter vollständig ein, so dass es später von einigen Fleckenbewohnern als Benachteiligung empfunden wurde, wenn ihr Stadtteil vom Ausrufen ausgeschlossen  blieb; man hielt diese Angelegenheit sogar für wichtig genug um deswegen mit einem Gesuch den König zu belästigen. Das Schreiben hat insofern kulturhistorischen Wert, als hierin und in den Begleitberichten  die Frage nach der Bedeutung der so genannten Judenschlagbäume erörtert wird.

   Am 15. Juni 1824 richten Marx Sühlau und Konsorten ein Gesuch an den König, den von der Administration zu Rantzau abgegebenen Bescheid dahin abzuändern, das die Nachtwächter verpflichtet sein sollen, bei den Klägern auf dem Sandberg ebenso wie bei den übrigen Fleckenseingesessenen nicht alleine bei Nacht die Stunden zu rufen, sondern auch am Tage daselbst ohne besondere Vergütung das gewöhnliche Ausrufen zu verrichten.

   Die eigentliche Grenze des Fleckens Elmshorn werde durch 3 Schlagbäume bezeichnet, einem am Ende des Wedenkamps, einen am Ende des Flamweges und einen am Ende der Sandberger Straße, und alle in diesem Bezirke wohnenden Eingesessenen und Häuerlinge müssen ohne Ausnahme sämtliche ordentlichen  und extraordinären Fleckenslasten und Ausgaben gemeinschaftlich abhalten. Hieraus folge auch der Anspruch auf den ungeteilten Genuss von Rechten und Vorteilen.

   Ihre Vorweser hätten es sich gefallen lassen, dass hinsichtlich des Ausrufens der Nachtwächter längs dem Sandberg eine Ausnahme gemacht wurde. Sie hätten nun in einem Gesuch an den Administrator klargelegt, dass die Nachtwächter das Ausrufen vom Wedenkamp bis zum Flamweger Schlagbaume besorgten , auf dem Sandberg aber nur bis zum Rinnstein bei Jürgen Stahls Hause und sie, die Kläger – 20 Eingesessene und ebensoviel Häuerlinge – die vom Rinnstein an bis an das Ende des Sandbergs wohnten, wären vom Ausrufen ausgeschlossen. Sie hätten daher zwar nicht zu den Nachtwächterkosten beigetragen, wollten es aber künftig tun. Der Administrator möchte verfügen, dass auch ihnen der nächtliche Stundenruf  und das Ausrufen am Tage zuteil werde.

   Es sei ihnen der Bescheid geworden, dass bei Anstellung eines neuen dritten Nachtwächters  auch auf dem Sandberg des Nachts die Stunden ausgerufen werden sollten. Das Ausrufen bei Tage könne nicht bewilligt werden, wenn sie sich nicht zu einer billigen Vergütung bereit erklärten.

   Sie bitten nun in ihrem Gesuch den König, zu verfügen, dass die Nachtwächter „ohne besondere Vergütung ihre Dienste auch am Tage verrichteten“.

   Sollten sie verpflichtet sein, den Ausrufern dennoch eine besondere Vergütung zu bezahlen, so würde noch mancher „müssige Kopf und um eine solche Vergütung zu bringen wissen“, – Denn schon öftersmal habe sich der eine oder andere belustigt, dem Ausrufer einige Schilling zu geben, um dafür auszurufen, dass ein Mädchen ihren Buttermilchstopf verloren, dass ein Pudel mit grünen Ohren verloren gegangen und dergleichen mehr. Den Ausrufern gelte es gleichviel, wenn sie nur Geld verdienten.

                                                 Unterzeichnet: 12 Untertanen.

   In seinem Bericht vom 24.07.1824 schreibt Fleckensbevollmächtigter Mordhorst, die 3 Schlagbäume, die von der Judengemeinde zu erhalten seien, bedeuteten keineswegs die Grenze des Fleckens, wie die Kläger vorgäben, sondern sie würden, je nachdem die Israeliten einen bequemen Platz fänden, bald vor- bald rückwärts versetzt. Der Flecken sei längs über die Schlagbäume hinausgewachsen. Das die entlegenen Teile keine Nachtwächter hätten, beruhe darauf, dass die Häuser in einer langen Strecke ausgedehnt seien. So auch auf dem Sandberg. Diese 20 Sandberger könnten für den hier bestimmten Beitrag von 1 Mark für den Hausbesitzer und 8 ß (Schilling) jährlich für den Mietsmann keine Nachtwächter zu halten. Nun werde auf Anordnung des Administrators eine andere Einrichtung getroffen. Künftig sollten jetzt 3 Nachtwächter angestellt werden. Hiermit seien die Kläger noch nicht zufrieden, sondern wollten „ihre Neugierde auf Kosten der Kommune befriedigen, indem sie auch verlangten, bei Tage durch den Ausruf des Nachtwächters zu hören, was verkauft werde, verloren oder gefunden sei. Der Flecken könne die dafür bestimmte Taxe nicht erhöhen.

   Auch der Kirchspielvogt Lichtappel schrieb dazu am 24. September 1824 einen Bericht. Die 3 Schlagbäume seien keinesfalls eine Bezeichnung der Grenze des Weichbildes. Die Schlagbäume seien von Alters her ein Merkmal der Israeliten und diesen zu setzen verstattet, um nach dem Mosaischen Gesetz dadurch anzudeuten, dass die in einem befestigten Ort wohnten.

(Es ist doch wohl eine irrige Ansicht. Elmshorn ist niemals ein befestigter Ort gewesen. Immerhin wäre es denkbar, dass die Bäume die Grenze des Gebietes bezeichneten, innerhalb dessen sich zur Zeit der reichsgräftlichen Oberhoheit Anhänger des jüdischen Glaubens aufgrund des ihnen vom Reichsgrafen von Rantzau verliehenen Schutzbriefes niederlassen durften. – Tatsächlich handelt es sich bei den Schlagbäumen wohl eher um Grenzbezeichnungen der Sabbatwege, also um Beobachtung einer religiösen Vorschrift zum mosaischen Gebot der Sabbatheiligung. Nur eine begrenzte Strecke durfte zurückgelegt werden.)

    Es seien diese daher auch keine eigentlichen Schlagbäume, sondern nur auf Pfählen angenagelte starke Latten, die längs der Seite des Fahrweges befestigt seien und weder geschlossen noch geöffnet werden könnten, also bloß als Symbol dienten und durchaus keine Ortsgrenze bestimmten.

 (Auf dem Wedenkamp (Königstraße) Stand der Judenschlagbaum gegenüber der jetzigen Kreditbank/ früher Präbendenstift).

   Die Nachtwächter Elmshorns würden nicht aus der Fleckenskasse salariert, sondern seien nur von dem Brandwesen seit dem Jahr 1756 mit vierteljährlicher Kündigung angesetzte Privatbedienstete, die hauptsächlich zur Verhütung ausbrechender Feuersbrünste angesellt seien und infolge der ihnen obrigkeitlich erteilten und unterm 28. September 1804 bestätigten Instruktion Vergütung von den Bewohnern  derjenigen Gassen und Plätze, auf denen sie abriefen, einzufordern berechtigt seien und zwar halbjährlich 8ß Gourant von jedem Hausbesitzer und 4ß vom jedem Häuerling.

   Die äußeren Distrikte seien wahrscheinlich ausgeschlossen, da die Nachtwächter sonst nicht in einer Stunde ihre Runde erledigen könnten.

   Der Tagesruf betreffe allerlei Bekanntmachungen, die ein größeres Publikum interessierten; dafür sei von  Einheimischen eine Vergütung von 2ß , von Auswärtigen 3ß Gourant bestimmt.

   Beständen Kläger darauf, wäre es billig, jedem Wächter eine extraordinäre jährliche Vergütung von etwa 6 Mark Gourant oder 3 Banktaler zu geben.

   In einem früheren Bericht vom 16. März 1824 (zum Gesuch der Sandberger an den Administrator) hatte Mordhorst erklärt, es sei bestimmt, dass die 20 Kläger jährlich 10 oder wenigstens 8ß mehr als das gewöhnliche Nachtwächtergeld bezahlen müssten, da die Ausdehnung des Wächterdienstes über den Sandberg die Anstellung eines 3 Wächters nötig mache.

   Der Bericht des Administrators datiert vom 8. Oktober 1824. Das Schreiben des Klägers vom 24. 4. (man sieht, der Gang einer Sache durch den Instanzenweg bewegte sich vor 100 Jahren nicht gerade im Eilzugstempo) sei in seinem ersten Teil berücksichtigt. Der Elmshorner  Kirchspielvogtei sei aufgegeben worden, die Wahl eines 3 Nachtwächters und eine andere Einteilung des Fleckens zu veranlassen. Darauf sei ein zweites Gesuch der Kläger um Modifikation des Bescheides eingegangen, den sie hinsichtlich des Tagesrufs erhalten hätten. Als nun die Neueinteilung des Fleckens vollzogen sei, hätten Kläger vorstehendes Gesuch an den König eingereicht.

   Am 18. 12. 1824 erging die Resolution, dass die Nachtwächter verpflichtet werden sollten, künftig bei den Klägern auf den Sandberg auch am Tage auszurufen gegen eine Erhöhung der den Ausrufern festgesetzten Taxe von resp. 6 bß und 9bß; es wäre denn, dass eine Privatperson, welche ausrufen lasse, verlange, das Ausrufen solle nicht auf dem Sandberg geschehen, dann solle die Erhöhung der bisherigen Gebühr fortfallen.

   Schon im Jahr 1824, so hören wir, war beschlossen, für den Flecken Elmshorn einen 3 Nachtwächter anzustellen, und die damals getroffene Einrichtung bestand noch um das Jahr 1848, wie wir von Eckermanns Erzählungen wissen, der uns so humorvoll das abendliche Auftreten der drei Nachtwächter mit ihrem Hornblasen und Stundenruf schildert. Eine Änderung trat Anfang der fünfziger Jahre, also nach den aufregenden Kriegsjahren ein. Seit dem Jahr 1851 erhob man eine besondere Nachtwächtersteuer. Nun wurde neben den 3 rufenden Wächtern, die Winter  und Sommer ihren Dienst taten, für das Winterhalbjahr noch eine besondere Organisation durch Einführung der so genannten Schleichwächter geschaffen. Beide Arten unterstanden einem Oberwächter, von dem sie wenn sie sich abends auf dem Marktplatz zum Dienst versammelten, ihre Instruktionen in Empfang nahmen und dem sie nach beendeten Rundgang Meldung erstatten mussten. Während die ruhenden Wächter wie früher in hergebrachter Weise ihren Ruf ertönen ließen und bei jedem 4. Haus kräftig ins Horn stießen, machten die Schleichwächter geräuschlos ihre Runde durch die Straßen, um womöglich nächtlich umhertreibendes Gesindel bei seinem lichtscheuen Treiben in den dunklen Winternächten zu überraschen und dingfest zu machen, was den rufenden Wächtern bei ihrem geräuschvollen Auftreten schwerlich jemals geglückt war. Der Dienst beider Arten galt der Ordnung und Sicherheit in den Straßen; insbesondere hatten die jedes laute Lärmen und Singen zu untersagen, Betrunkene, die infolge zu reichlichen Groggenusses die Herrschaft über ihre Glieder verloren hatten und den Nachhausweg nicht finden konnten, zu geleiten, Verdächtige zwecks Legitimation anzuhalten, bei übermäßig lautem Wirtshausbetrieb und nach Eintritt der Polizeistunde Feierabend zu gebieten. Um Einbrüche zu verhüten, waren die verpflichtet, die Hausbewohner zu warnen, wenn Haustüren offen geblieben waren oder im Erdgeschoss Fenster offen standen.

   Selbstverständlich gehörten auch zu ihren Obliegenheiten bei Eintritt von Hochwasser und Ausbruch einer Feuersbrunst die schlafenden Mitbürger zu wecken und hilfreiche Hand bei Herausholen der Feuerspritze zu leisten. Nach dem Brande hatten sie für die Reinigung der Löschgeräte zu sorgen, die rufenden Wächter auch nach den Markttagen gegen gesondertes Entgelt den Marktplatz zu säubern. Bei Tage übten sie noch immer das Amt eines öffentlichen Ausrufers aus.

   Die Einrichtung mit den Schleichwächtern, die nur für den eigentlichen Flecken Elmshorn galt, gab dem nächtlichen Sicherheitsdienst immerhin schon einen etwas modernen Anstrich. Die damals noch selbstständigen mehr dörflichen Teile des Ortes, Vormstegen und Klostersande, blieben von den fortschrittlichen Bestrebungen die dieser Hinsicht noch lange unberührt. Diese Gemeinden hatten bei ihren selbstständigen Verwaltungen auch ihre besonderen Einrichtungen und Vorschriften für den Nachwächterdienst. Wenigstens in Bruchstücken erhalten ist eine Instruktion für den langjährigen Vormstegener Nachwächter Christoph Röver vom 5. April 1836.

   Auch hier musste der Wächter stündlich langsam durch seinen Distrikt gehen und durch Blasen und Stundenruf seine Anwesenheit auf den Straßen bezeugen, um seinen Mitbürgen im warmen Bett das beruhigende Bewusstsein zu geben, dass das Auge des Gesetzes wache. Wenigstens die Hälfte der Zeit hatte er auf der Straße zu sein. Auch er musste bei Eintritt von Hochwasser die gefährdeten Bewohner seines Distrikts warnen. Wenn ein Gewitter sich gefahrdrohend  näherte, hatte er den Brandaufseher, den Rohrleiter bei der „Sprütze“ und jeden 5. Anwohner zu wecken. Kam eine Feuersbrunst zum Ausbruch, schreckte er durch rasch  aufeinander folgende Hornsstöße die Schläfer auf und eilte dann zur Hilfestellung nach dem Spritzenhause. Dass das alte Spritzenhaus mit seinen Doppeltüren noch jetzt am Mittelweg zwischen der Westerstraße und dem Sägeberg steht, dürfte dem jüngeren Geschlecht schon gar nicht mehr bekannt sein.

   In der Instruktion der Vormstegener Nachtwächters findet sich noch die Verpflichtung, jemand, wenn er es wünsche, zur bestimmten Zeit zu wecken. Ehemals war es auch hier, wie an vielen anderen Orten üblich, dass der Nachtwächter am Weihnachts- und Altjahrsabend durch die Straßen sang. Man denke nur an das schöne Grothsche Gedicht: Wihnachsabend:

„De Wächter hett sin Stutenaarn-

De ward ok öller mit de Jahrn.

Sin Festleed bevt den Strat henlank,

as sung he sülm sin Graffgesank

   Das Umsingen wurde durch das Reglement von 1836 abgestellt, dafür sollte aber dem Nachtwächter gestattet sein, zwischen Weihnachten und Neujahr bei allen Einwohnern zum neuen Jahr zu gratulieren, um dann nach dem jeweiligen Belieben des Beglückwünschten ein kleines Geldgeschenk entgegenzunehmen.

   Die neue Zeit hat längst wohl mit Recht mit all den Einrichtungen und Gebräuchen der guten alten Zeit aufgeräumt, ist dafür aber nüchterner und poesiearm geworden.

  Abschrift von Arno Freudenhammer